Afrika ist längst in Europa. Die vielen ohne Papiere und die mit den Papieren sind ein direktes Verbindungsglied zwischen Europa und Afrika. Für Menschen und für Waren, zweiter, dritter, fünfter, zehnter Hand. In diesem Projekt interessieren wir uns für einen anderen Import, einen inneren. Mit den Migranten kommen ihr Glauben und ihre religiösen Praktiken, die bei täglicher Ausübung in ihre Körper eingeschrieben sind, nach Europa.
Christliches Europa ist nicht gleich christliches Afrika: Praktiken und Heilserwartungen unterscheiden sich gravierend. Hinzu kommen die starken und vielfältigen Glaubensgemeinschaften des Islam und der traditionellen Religionen (Naturreligionen). In Europa entstehen durch die Migranten neben den Kirchen neue Orte und Praktiken des Gebets auch an informellen Orten. Aachen hat Spiritualität, der katholische Glauben ist präsent, genauso präsent ist der Nichtglaube eines säkularisierten Europas. Moderne Kunst kommt ohne religiöse Kunst aus. Religion ist als Thema nicht zeitgemäß. Das Thema Religion wird durch die Kunst als Religionsform ersetzt. Metaphysische Wünsche werden z.B. in der Abstraktion der Moderne dargestellt, und nicht in der Beschäftigung mit Religion. Die dramatische Literatur beschäftigt sich in der Hauptsache kritisch mit der repressiven Wirkung religiöser Institutionen und häuslicher Sozialisierung. In der Formensprache des Theaters kann man eher eine zeitgemäße Auseinandersetzung mit ritueller Handlung finden.
Wir gehören zu einer Generation, die religiöse Zwänge und religiösen Erziehungsdruck kaum erlebt hat, eher das allgemeine und wenig reflektierte Bekenntnis zur Bedeutungslosigkeit der Religion. In der modernen Welt sind die meisten Menschen, die Nichteuropäer, religiös und ihr Denken und Handeln sind davon öfter bestimmt als wir es entschlüsseln können.
Wir entwickeln in Aachen Situationen, die den Prozess des spirituellen Auseinanderdriftens und des Ineinanderverschlungenseins der beiden Kontinente markieren. Wir möchten die verschiedenen Formen des Glaubens und Nichtglaubens miteinander in Verbindung setzen, ohne einen Kirchentag in Aachen zu eröffnen. Wir arbeiten aktionistisch und mit den Mitteln der Intervention und des Theaters. In unserer Inszenierung „Die roten Schuhe“ am Theater Aachen hat der Schauspieler Hauke Heumann acht Minuten lang gebetet, so gut er konnte, so aufrichtig er konnte.
Franck Edmond Yao alias Gadoukou la Star, Tänzer und Schauspieler in den „roten Schuhe“ benützt die Form einer Teufelsaustreibung, so wie man sie in einer christlichen Zeremonie in Afrika sehen kann, als Bewegungsform, um das Nichtanhaltenkönnen der Beine darzustellen. Er findet Regeln für sich, welche religiösen Praktiken er für Vorstellungszwecke transformieren kann und welche nicht mehr, weil sie zu eng mit seinem inneren Glauben verbunden sind. Die Erforschung dieser Grenzlinie wollen wir weitertreiben.